Para Olympia
In mythischer Vorzeit hielt der König des sagenhaften Volkes der Lapithen, Peirithoos, Sohn des Ixion, Hochzeit mit der schönen Hippodameia. Eurytion, einer der zum Festmahl geladenen Kentauren, wollte, im Weinrausch, mit brachialer Gewalt die Braut rauben. Der hernach entbrannte Kampf zwischen den Lapithen und Kentauren, wurde im 5. Jhd. v. Chr. in Marmor gestaltet: Die Reliefs an der Südseite des Parthenon in Athen zeig(t)en Szenen der Kentauromachie sowie auch die Skulpturen im Westgiebel des Zeustempels von Olympia.
Die para Olympia Fotografien hat Roman März im letzten Jahr in einer Situation aufgenommen, in der die Anordnung der Gegenstände dem Zufall, bzw. den Erfordernissen der Arbeit geschuldet war. Anders als im Arbeitsalltag des Berliner Fotografen, der seit Anfang der 90er Jahre für Künstler, Galerien, Sammlungen und Museen originale Kunstwerke fotografiert, war in der Werkstatt eines befreundeten Künstlers nichts eigens für die Aufnahmen arrangiert: Kreuz und quer standen dort die für die Kunsthochschule in Hangzhou (nahe Shanghai) bestimmten, von alten Formen abgenommenen Gipsabgüsse der bruchstückhaft erhaltenen Giebelskulpturen des Zeustempels von Olympia.
Als Abgüsse waren diese Skulpturen aus Olympia von den 1880er Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg in Berlin ausgestellt, zunächst als Teil der damals überaus umfangreichen Abgußsammlung der Berliner Museen und danach im Olympiasaal der Abgußsammlung der Universität. Das Hinüberwechseln der Abgüsse von den Museen in die Universität zeugt von einer Abwertung der Reproduktionen aus Gips, die zwar die Form des Originals wiedergeben, nicht aber die nuancierte Farbigkeit und Transparenz der antiken Marmoroberflächen.
Die Aufmerksamkeit von Roman März wurde jedoch gerade von den reinweißen opaken Gipsoberflächen entfacht und so lässt er durch die bei seinen para Olympia Aufnahmen angewendete Methode Licht-Abdrücke der Abgüsse entstehen. Bei frontalem flachem Licht fotografiert, mit einem Ringblitz eingeblitzt, reflektieren diese umso mehr Licht je näher sie zur Kamera stehen. In harten hell-dunkel Kontrasten bilden sich zufällige räumliche Konstellationen ab, d.h. räumliche Relationen werden äußerst konsequent auf die Bildfläche übertragen. Dabei ist alles entschieden ausschnitthaft aufgenommen, die eigentlichen Umrisse der skulpturalen Fragmente sind nie zu erkennen. Die in den fotografischen Aufnahmen abermals fragmentierten Fragmente bilden Hintergrund und Vordergrund zugleich. Was bildet den Fokus? Die blendend weißen Körperteile und Gesichter? Oder vielmehr die, die zwar dunkel doch deutlich aus dem Hintergrund hervortreten?
In ungeheurer Drastik ist die Kentauromachie von Ovid in den Metamorphosen ausgemalt, die wilden Wolkenkinder, wie die Kentauren da ihrer Herkunft nach heißen*, unterliegen, obwohl weitaus in der Überzahl, den edlen Lapithen. In der Gestaltung der in Olympia haben Letztere mächtigen Beistand: Der Gott Apollon bildet die Mitte der Giebelskulpturen. Ein historischer Abguss dieses mehr als drei Meter großen Apoll von Olympia ist in der Abguss-Sammlung Antiker Plastik in Berlin-Charlottenburg ausgestellt. Hier sind auf dem Boden und auf Sockeln zwischen Abgüssen antiker Skulpturen großformatige Abzüge der Fotografien von Roman März aufgestellt. Die darauf auszumachenden vertraut-unvertraut fragmentierten Gestalten fügen sich zu immer wieder neuen Konstellationen.
Maria Zinfert